Wirklich kein Mobbing an Montessorischulen?
Ist es nur ein Klischee, dass MontessorischülerInnen weit weniger zu Mobbing-Opfern werden als die Kinder an Regelschulen? Meine Erfahrungen als Pädagogin an einer integrativen Montessorischule zeigen, dass es Streit und Mobbing in geringerem Ausmaß zwar durchaus auch hier gibt, dass aber sehr bewusst damit umgegangen wird. Konflikte und Mobbing werden thematisiert und meistens schnell geklärt. Das hängt meines Erachtens mit dem Menschenbild von Maria Montessori zusammen. Wo das Kind im Mittelpunkt steht, und zwar jedes Kind, kommen die anderen Kinder nicht so leicht auf die Idee, jemanden zu beschähmen und auszuschließen.
Folgende Punkte halte ich für ausschlaggebend, dass Montessorikinder weit weniger unter Mobbing zu leiden haben als Regelschüler:
Lehren ohne rigide Autorität
Oft geben Kinder, die sich selbst gegängelt und womöglich drangsaliert fühlen, ihren Frust an schwächere MitschülerInnen weiter. Je größer der Druck von oben, desto notwendiger ein Ventil, um Dampf abzulassen. Dieser Mechanismus wird „Fahrradfahren“ genannt. Nach oben buckeln und nach unten treten. Was aber, wenn von oben kein Druck kommt, wenn es eigentlich gar kein „oben“ gibt? MontessorilehrerInnen sind in der Regel auf das Wohl des Kindes ausgerichtet. Es ist notwendig, Regeln und Grenzen zu setzen, damit der gemeinsame Alltag gelingen kann. Dabei steht aber die Lehre von Maria Montessori im Mittelpunkt und nicht das persönliche Bedürfniss des Lehrers, sich zu profilieren oder gar Macht auszuüben.
Der Gedanke der Integration
Viele Montessori-Einrichtungen sind ausdrücklich integrativ aufgestellt. Das heißt z.B., dass in einer Primarklasse von Klasse 1 bis 3 etwa 30 Kinder ohne und 3 Kinder mit Behinderung ihr schulisches Zuhause finden. Meistens reißen sich die Nicht-Behinderten darum, ihren behinderten KollegInnen zur Seite zu stehen, ihnen beim Aufräumen helfen oder auf der Treppe behilflich zu sein. Dadurch lernen die Kinder ganz selbstverständlich, dass es unterschiedliche Startbedingungen im Leben gibt und das es nur darum geht, das Beste daraus zu machen. Die behinderten Kinder ihrerseits werden durch die Zuwendung der anderen selbstsicher und fühlen sich ihrer Gruppe voll zugehörig.
Selbstbewusstsein fördern
Die ganze Montessori-Pädagogik beruht darauf, das Selbstbewusstsein von Kindern aufzubauen und zu stärken. Das geschieht, indem die Kinder von Anfang an viel Entscheidungsfreiheit besitzen, etwa in der Entscheidung, was sie arbeiten wollen. Die Möglichkeit zur selbständigen Fehlerkontrolle unterstützt die Selbständigkeit der Kinder zusätzlich. Ein weiteres wunderbares Ritual, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken ist die große Abschlußarbeit in der 9. Klasse. Hier kann jedes Kind sein ganz persönliches Steckenpferd ausarbeiten und der ganzen Schule vorstellen. Egal ob Ballkleid oder Tiny House, hierin liegt die große Chance, sich zu verwirklichen und vielleicht den ersten Schritt in den zukünftigen Beruf zu unternehmen.
Teamgeist stärken
Montessorischulen sind klassenübergreifend. Meistens wird die 1., 2. und 3. Klasse zusammengefasst usw. TutorInnen aus der 3. Klasse betreuen dabei die SchulanfängerInnen. Ältere Kinder helfen den Jüngeren bei den Aufgaben. So wächst das soziale Gefüge in der Klasse mehr und mehr. Schwache werden unterstützt und nicht gehänselt. Und eigentlich gibt es keine Schwachen, denn jeder hat viel zu geben.
Ethik der Freundlichkeit
Viele SchülerInnen mobben, um ihr eigenes Ego aufzupolieren. Es gilt eben als cool, richtig gemein zu sein und keinerlei Mitgefühl zu zeigen. Unter MontessorischülerInnen herrscht meistens eine andere Ethik. Da zählen Solidarität, Fairness und Freundlichkeit. Das Montessori-Konzept prägt die Menschen, die damit in Berührung kommen. Es ist kein theoretisches Konstrukt, sondern täglich gelebte Menschlichkeit.
Autorin: Marie Laschitz Foto:Shutterstock/Fehmiu+Roffytavare