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Montessori Pädagogik

Freiheit und Disziplin bei Maria Montessori

19 Jan, 2021

Freiheit und Disziplin bei Maria Montessori

 

 "Freiheit und Disziplin

sind zwei Seiten einer Medaille."

Maria Montessori

 

Freiarbeit

Hatten sie schon einmal das Glück, einer Montessori-Klasse in ihrer Freiarbeit zu beobachten? Wie sich Kinder selbständig ihr Material aus dem Regal holen und nach getaner Arbeit wieder leise zurückstellen? Wie ein Kind hochkonzentriert sein Material am Boden ausbreitet und dabei neugierig von einem anderen Kind beobachtet wird? Wie zwei Kinder flüsternd sich gegenseitig aus einem Buch vorlesen? Dann haben sie bereits einen lebendigen Eindruck davon gewonnen, wie eng verknüpft die beiden Begriffe „Freiheit“ und „Disziplin“ bei Maria Montessori sind. Am Beispiel der Freiarbeit sollen die beiden Begriffe und ihr Zusammenwirken näher beleuchtet werden.

Sehen wir uns die Situation der Freiarbeit im Kindergarten oder in der Schule einmal genauer an:

 

Auswahl des Materials

Zu Beginn der Freiarbeit steht zumeist ein Sitzkreis, in dem die Kinder sagen, welches Material sie sich für die Freiarbeit vornehmen. Hier ist durchaus Platz für Anmerkungen der Pädagog*innen, was aus ihrer Sicht noch fertigzumachen wäre oder ähnliches. Die Kinder haben also in Absprache mit der Pädagog*in freie Auswahl der Materialien, aber in gewisser Weise legen sie sich darauf auch fest. Bereits an diesem Punkt kommt also die Disziplin mit ins Spiel. Das Kind lernt, sich für eine Sache zu entscheiden und diese dann auch zu Ende zu bringen.

 

 

Das soziale Miteinander

Freiheit bei Montessori heißt nicht nur, Freiheit des Einzelnen, sondern vielmehr Freiheit der Gruppe oder Klasse. Meine Freiheit endet genau da, wo ich die Freiheit eines anderen Menschen einschränke. Freiheit bedeutet bei Montessori auch niemals antiautoritär. Ohne Regeln herrscht Chaos, was genau das Gegenteil jener Freiheit ist, in der sich der Einzelne optimal entfalten kann.

Der Mensch ist ein soziales Wesen und deshalb bedeutet seine freie Entfaltung auch soziale Entfaltung, die niemals rücksichtslos, aggressiv oder ignorant sein kann. Tauchen in der Freiarbeit Konflikte auf, ist es ein guter Rat, die Störenfriede aus der Gruppe herauszunehmen und, sobald sich ein Zeitfenster findet, ein klärendes Gespräch zu führen. In so einer Streitschlichtung werden die Begriffe „Freiheit“ und „Disziplin“ immer mitschwingen, da es ja bei nahezu jedem Konflikt um eine Grenzverletzung und mangelnden Respekt, also die Beeinträchtigung der Freiheit des anderen, geht. Die Freiheit des angegriffenen Kindes wurde also eingeschränkt, weil das angreifende Kind zu wenig Disziplin zeigt.

 

 Selbstkontrolle und Vertrauen

Zurück zu unserer Freiarbeitsstunde. Die Kinder arbeiten frei von einer Fremdkontrolle. Das gelingt aber nur, weil sie so diszipliniert sind, sich selbst zu kontrollieren. Hier kommt ein weiterer wichtiger Begriff ins Spiel, ohne den die Freiheit nicht pädagogisch wirksam gewährt werden kann: Das Vertrauen.

Je mehr die Pädagog*in ihren Kindern vertraut, umso mehr Freiheit schenkt sie ihnen und umso eher kann sie auf äußere Disziplin verzichten. Vertrauen ist überhaupt die wichtigste Grundlage, auf der eine positive Lernatmosphäre aufgebaut werden kann. Wer spürt, dass die anderen ihm vertrauen, entwickelt nach und nach ein gesundes Selbstvertrauen. Und nur, wenn ich meinen eigenen Fähigkeiten vertraue, wage ich mich auch an herausforderndes Lernmaterial. Vertrauen wird also zu Selbstvertrauen, Selbstvertrauen wird zu Zutrauen.

 

Geschichtliches

Die Lehranstalten vergangener Jahrhunderte setzten allein auf Disziplin. Mit dem Rohrstock und herrschaftlicher Autorität wurden den Kindern jede lebendige Regung wie Neugierde oder Entdeckungsfreude ausgetrieben. Wie viele Begabungen mögen in dieser Zeit verkümmert sein! Umso bemerkenswerter, dass trotz preußischer Erziehung viele Künstler oder Wissenschaftler ihre Begabung entfalten konnten.

 

 

1968 schlug das pädagogische Pendel mit der Antiautoritären Erziehung genau in die andere Richtung aus. In den "Kinderläden" wurden schon die Kleinen sich selbst überlassen und ohne Regeln „erzogen.“ Freiheit ohne Begleitung, ohne Vorbild und ohne Angebote endet allerdings selten konstruktiv, so dass auch dieses „Erziehungsmodell“ bald wieder zurückgerudert wurde.

 

Maria Montessori

Maria Montessori schaut da viel tiefer. Sie erkennt, dass unsere Wirklichkeit dualistisch aufgebaut ist. Wo sich Freiheit entfalten soll, sind Vertrauen und Disziplin nötig. Disziplin ist kein soldatischer Drill, sondern eine zielorientierte Kompetenz freier Menschen. Nur mit Disziplin kann ich meine selbstgesteckten Ziele erreichen. Und genau das schenkt mir Freiheit. Die Freiheit, erreichen zu können, was ich gerne haben möchte. Das kann Erfolg sein, Geld oder auch innere Werte. 

Maria Montessori erkannte auch ganz klar, dass äußere Disziplin vor allem dort notwendig ist, wo die innere Disziplin fehlt. Ihr ging es um die Verinnerlichung der Disziplin. Nur, was ich nicht aus Anpassung heraus, sondern aus Überzeugung tue, macht mich froh. Diese innere Disziplin beleuchtet sehr schön dieses Zitat der großen, immer-modernen Reformpädagogin:

 

           "Der größte Erfolg eines Lehrers ist es, sagen zu können,

       dass seine Schüler arbeiten, als wäre er nicht da."

   Maria Montessori

 

Bildnachweis: Shutterstock/ LiliGraphie/Monkey Business Images            Autorin: Marie Laschitz